Ein paar Jahre später bin ich auf dem Weg zu Harrods. Ich besteige in Moorgate die Bahn, bewaffnet mit einem Buch, denn die Ost-West Durchquerung mit Umsteigen soll dauern. Kurz überlege ich noch, ob ich - rein sicherheitshalber - das Stille Oertchen aufsuchen soll... Doch ich habe es eilig, denn ich brauche ein Kleid für Nazrins Diplomfeier.
Kurz nach Picadilly Circus stoppt die Bahn. Ich lasse mich nicht beeindrucken, denn diese außerplanmäßigen Kurzstopps sind normal. Zehn Minuten vergehen. Fünfzehn Minuten vergehen. Langsam macht sich meine Blase bemerkbar. Zwanzig Minuten vergehen, dann die Durchsage von einem Unfall bei Green Park Station. Nach fünfundzwanzig Minuten muss ich dringend. Im Mut der Verzweiflung (ich sitze zufällig im vordersten Wagen) klopfe ich an die Tür des Fahrerhäuschens. "Excuse me, is there a loo (Klo) on this train"? Nein, natürlich nicht. Hättste wohl noch selber drauf kommen können.
Dreißig Minuten später und die Konfirmandenblase meldet Notstand. Niagarafälle! Platzregen! Wolkenbruch! Nahezu hysterisch poltere ich wieder an die Fahrertür. "Please, sir, I am desperate!", und biete ihm an, ich könne ja zu Fuß über die Geleise Richtung Green Park Station trekken.
Die Engländer laufen in Krisenzeiten zu Höchstform auf. "Does someone have a jar", fragt ein Anzugträger in die U-Bahnwagenrunde. "This lady needs the toilet." "Would it help if we all moved down the other side?", fügt ein Zweiter gallant an, in Erwartung ich würde mich gleich hinkauern.
Endlich, endlich hat auch der Zugführer eingesehen dass es mir Ernst ist. Er öffnet die äußere Waggontür bei sich im abgetrennten Füherhäuschen. Mit einer Geste deutet er mir an, was zu tun ist, zieht die Durchgangstüre hinter sich zu und begibt sich zu den Passagieren in den Waggon. Ich hingegen lasse mich sehr undamenhaft aus der Waggontür hängen und unter unterdrücktem Lachanfall tue, was zu tun ist.